18. September 2014 Premiere „Chorphantasie“ im Odeion Kulturforum Salzburg
„Chorphantasie – Konzert für Dirigent auf der Suche nach dem Orchester“ von Gert Jonke
Produktion Hildegard Starlinger und Odeion Kulturforum Salzburg | Regie Hildegard Starlinger | Spiel Anna Morawetz (Hausmeisterin), Elisabeth Nelhiebel (Dirigentin), Christiane Warnecke (Rudi Streichquartett), Gerard Es (Konzertmeister), Nina Blaser, Jasmina Marian, Jutta Onrednik, Jacky Schotter, Theresa | Musik Irmgard Messin und Peter Sigl (oenm) | Video und Audio Elisabeth Leberbauer | Kostüme Hilde Böhm | Bühne Alois Ellmauer
Termine: 18., 19., 20., 21., 26., 27. September 2014 // 11., 12., 22., 23. Oktober 2014, jeweils 19. 30 Uhr im Odeion Kulturforum Salzburg
Der Himmel wurde an die größte Werbeagentur verkauft. Leicht bekleidete Operettensoubretten tönen permanent von oben herab und lesen pausenlos Versandhauskataloge vor. Werbung dröhnt aus allen Ecken. Welch ein Gräuel für eine Dirigentin. Manisch sucht die Weltverbessererin ihr nicht erschienenes Orchester, um sie zu einer perfekten Symphonie zu führen. Klangerlebnisse statt Klangverschmutzungen sind gefragt. Doch den Musikern steht das Wasser bis zum Hals – sie wurden nicht bezahlt. Die scheinheilige Hausmeisterin windet sich geschickt jonglierend zwischen Auftrag und Unterwürfigkeit. Die Dirigentin hingegen nutzt die Gunst der Stunde und wendet sich ans Publikum um es zu dirigieren und zur harmonischen Perfektion zu führen. „Schalldenker“ sind gefragt. Und keine durch „Schalldreck“ entstandene „Haupthelden ihres eigenen Individual-Unterdurchschnitts“.
Jonke schreibt eine spielerisch vertrackte Prosa, skeptisch, witzig, phantastisch, voller Verve für das Indefinite, voller Reserve gegen die ideelle Abgeschlossenheit. In seinen Texten erscheint immer etwas Fragendes, er öffnet mehr als er abschließt, er beharrt auf der Unsicherheit von Phantasie, Komik, bis ins Surreale und ins Absurde gehender Imagination, unterwegs in den „eulenspiegelhaften Luftschlosslabyrinthen der Sprache“ (wie es in einer Rezension der „Zeit“ zu Jonkes „Der ferne Klang“ heißt).
Der Titel des Stücks bezieht sich auf Beethovens monumentale Chorfantasie, Opus 80, im Theater an der Wien 1808 uraufgeführt. Aber das gedankliche Spiel mit der idealen Stille, in der das All-Eine der Welt erklingt, erinnert an Cage. Alles ist Poesie, alles ist Musik, man muss nur zuhören können, hinlauschen. Das Unhörbare ist das Unerhörte, und die Dirigentin ohne Orchester erscheint als tollkühne Mystikerin, die materielos, weil ohne orchestrale Klangverschmutzung, das ideale innere Hören erschaffen will. Verweigert sich das letztlich doch eintreffende Orchester, übernimmt sie die Verweigerung als ideale Geste, und macht damit noch Profit – so könnte man das Stück abgekürzt zusammenfassen. Romantische Motive wie das „Durchscheinen der Seele“ werden mit apokalyptischen Motiven unterwandert, Skepsis mit Verzückung, Erfülltheit mit Berechnung, Komik mit Pathos, Gleichnis mit Persiflage.
Das Stück endet mit einem anderen Motiv, das sich neben der musikalischen Thematik immer wieder in Texten Jonkes findet: mit der Flugmetapher, dem Abhauen in eine Art träumerische Freiheit hinaus. Im Schlussbild des Stücks steigt das Orchester mit seiner apodiktischen Dirigentin ins Fluggerät und hebt ab, steuert durch ein Loch in der Decke des Konzerthauses hinaus, während unten die Flut schon die Mauern umspült. Das Haus der Kunst erweist sich als von höchster politischer Stelle längst zum Abbruch freigegeben, aber die Idee der Kunst, hier durch Gauner, Genie und Scharlatan der Person der Dirigentin, davon unberührt, entkommt.
(Quelle: Martin Kubaczek, 20. Jänner 2004, Originalbeitrag auf www.literaturhaus.at)